Hintergrund:
EncroChat-Handys sind Mobiltelefone mit spezieller, verschlüsselter Software. Das EncroChat-Handy und dessen Programm galten lange als abhörsicher, sodass insbesondere Personen das Mobiltelefon für ihre geheimen Geschäfte genutzt haben.
Die Entschlüsselung der zwischen den Nutzern gewechselten Chatnachrichten auf dem Server war nicht möglich. Daher entschlossen sich die französischen Behörden unmittelbar auf die Endgeräte zuzugreifen, um die Nutzer zu identifizieren und deren Aktivitäten aufzudecken. Schließlich gelang es den französischen Ermittlern und Ermittlerinnen die Kommunikation von rund 60.000 EncroChat-Nutzer|innen mit Hilfe eines Trojaners zu entschlüsseln. Tausende Chatnachrichten zwischen den Nutzern gelangten so in die Hände von Polizei und der Staatsanwaltschaft. Aufgrund dieser Erkenntnisse wurden fast 3000 Verfahren eingeleitet. Bei den Strafverfahren geht es vor allem um Waffen- und Drogenhandel im großen Stil.
Umstritten ist, ob die erlangten Daten durch die französischen Ermittler im deutschen Strafverfahren als Beweismittel verwendet werden dürfen.
Zulässigkeit als Beweismittel – Beweisverwertungsverbot?
Entscheidung LG Berlin:
Das LG Berlin hat in einem Fall entschieden (Beschl. V. 01.07.2021 – (525 KLs) 254 Js 592/20), dass die ergatterten Kommunikationsdaten einem Beweisverwertungsverbot unterliegen und folglich nicht in dem Strafverfahren verwertet werden dürfen.
Die Eröffnung der Hauptverhandlung wurde schon von dem LG abgelehnt, da der alleinige Besitz des EncroChats-Handys keinen Ermittlungsgrund darstelle. Nach der Ansicht des LG lag beim Zugriff kein konkreter Tatverdacht vor. Dies hat zu Folge, dass die erlangten Daten zur Unverwertbarkeit führen.
Die Chatnachrichten stammen zudem aus einer heimlichen technischen Infiltration des Mobiltelefons. Eine solche Maßnahme greift in besonders schwerwiegender Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung als Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme ein. Durch die Annahme und Verwendung der Daten liegt ein eigenständiger Eingriff durch die deutschen Behörden vor. Dieser Grundrechtseingriff sei nicht gerechtfertigt, da es für die Anordnung und Durchführung einer Online-Durchsuchung und einer Quellen-Telekommunikationsüberwachung eines qualifizierten Tatverdachts nach §§ 100a, 100b StPO bedarf und dieser vorliegend nicht gegeben war.
Weiterhin muss ein Mitgliedsstaat den anderen Mitgliedsstaat darüber unterrichten, wenn er den Telekommunikationsverkehr von Personen auf deutschem Hoheitsgebiet überwachen will, Art. 31 RiLi-EEA. Ein derartiges Ersuchen wurde nicht durchgeführt und eine Entbehrlichkeit dessen sei nicht einschlägig.
Die französischen Behörden haben bei der Ermittlung gegen mehrere Vorschriften verstoßen und nicht rechtsstaatlich gehandelt. Folglich dürfen die erlangten Daten und Chatnachrichten nicht im deutschen Strafverfahren verwertet werden. Es liegt nach dem LG ein Beweisverwertungsverbot vor.
Entscheidung KG Berlin:
Das Kammergericht Berlin (Beschl. v. 30.08.2021, Az. 2Ws 79/21, 2 Ws 93/21) und weitere Oberlandesgerichte haben entschieden, dass die Daten, die aus der Kommunikation über den Dienstleister EncroChat abgeschöpft worden sind, als Beweismittel zugelassen sind. Dementsprechend wurde der Beschluss des Landgerichts Berlin aufgehoben.
Das Kammergericht ging zwar davon aus, dass die Daten mit derartigen Ermittlungsmaßnahmen nach deutschem Recht nicht rechtmäßig gewesen wären. Ein Beweisverwertungsverbot wäre somit möglich gewesen.
Allerdings wurden die vorliegenden Daten von den französischen Ermittlungsbehörden abgeschöpft. Das KG Berlin ist der Auffassung, dass es sich bei den Daten um Zufallsfunde nach § 100e Abs. 6 Nr.1 StPO handele. Demnach dürfen Kommunikationsdaten, die aus anderen Strafverfahren stammen zur Aufklärung bestimmter schwerer Straftaten verwertet werden. Die Norm gestattet auch die Verwendung von Informationen aus ausländischen Strafverfahren.
In Europa gelte zudem der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen. Es dürfte somit die nach französischem Recht gewonnenen Erkenntnisse auch im deutschen Strafverfahren zur Anwendung kommen. Eine Nachprüfung der im Ausland veranlassten Maßnahmen steht den deutschen Gerichten nicht zu, soweit die dortige Beweiserhebung nicht auf einem deutschen Rechtshilfeersuchen beruht.
Es besteht nach der Ansicht des KG Berlin ebenfalls kein Beweisverwertungsverbot wegen des Verstoßes gegen Art. 31 Abs. 1 lit. B) der RL-EEA. Dass die zuständigen Behörden des zu unterrichteten Mitgliedsstaates der Überwachung widersprechen hätten können, habe hinsichtlich der Beweisverwertung keine unmittelbare Bedeutung, sondern könne gegebenenfalls einen Beweisausschluss im überwachenden Staat auslösen.
Folglich sind die vorliegenden Daten nach Ansicht des KG Berlin und weiterer OLGs als Beweismittel zulässig und dürfen im Strafverfahren verwertet werden.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Mit dem Beschluss vom 08.02.2022 (BGH, Beschl. v. 08.02.2022 – 6 StR 639/21) hat sich nun der BGH zu der Thematik geäußert und die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Rostock verworfen. Der Senat ist der Auffassung, dass die aus der Überwachung der Kommunikation über den Dienstleister EncroChat durch die französischen Behörden gewonnenen Erkenntnisse im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung im Strafverfahren stehen. Weiter begründete der Senat seine Entscheidung nicht. Im Ergebnis sollen die gewonnenen Daten verwertbar sein.
Fazit:
Trotz des Beschlusses des BGH gibt es noch erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung. Eine Vielzahl an Verteidiger fordern weiterhin, dass die Ermittler offenlegen, wie genau die Daten entschlüsselt wurden. Es wird zudem kritisiert, dass durch die Überwachungsmaßnahmen Unschuldige betroffen waren. Folglich gab es schlichtweg keinen Anfangsverdacht hinsichtlich diverser abgehörten Nutzer. Darüber hinaus ist eine Überprüfung der gewonnenen Daten über deren Wahrheitsgehalt nicht möglich. Schließlich haben die Verteidiger der Nutzer häufig keine vollständige Akteneinsicht. Dies hat zur Folge, dass keine optimale Strafverteidigung möglich ist.
Das Bundeskriminalamt hat sich hinsichtlich der Datenerlangung dahingehend eingelassen, dass sie die Daten aus Frankreich ohne vorheriges Wissen übermittelt bekommen haben. Dass dies der Wahrheit entspricht wird vermehrt bezweifelt. Es sollen angeblich Vertreter des BKA am 9.März 2020 an einer geheimen Videokonferenz von Eurojust, der EU-Plattform für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, teilgenommen haben. Dieses Treffen fand vor dem Hack von EncroChat statt. Dort soll die Vorgehensweise bereits angekündigt worden sein.
Wie und ob diese Erkenntnisse von den Gerichten berücksichtigt werden, wird sich mit der Zeit zeigen. Schlussendlich wird noch auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gehofft.