BVerfG: Sampling kann als Kunstform Tonträgerherstellerrechte überwiegen - Rechtsanwaltskanzlei Herrle

1. Juni 2016

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BVerfG: Sampling kann als Kunstform Tonträgerherstellerrechte überwiegen

BVerfG: Sampling kann als Kunstform Tonträgerherstellerrechte überwiegen
BVerfG, Urteil v. 31. Mai 2016 – 1 BvR 1585/13
Ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen dem Komponisten Moses Pelham und der Musikgruppe Kraftwerk hat nun ein Ende. Das Bundesverfassungsgericht kippte ein Urteil des BGH und stellte klar, dass zumindest kurze Sequenzen aus einem Musikwerk ungefragt übernommen werden dürfen, auch wenn man das Sample selbst nachspielen kann. Hip-Hopper können aufatmen, wenngleich das Urteil des BVerfG nicht als Freibrief verstanden werden darf.
Worum geht es?
Sampling ist die Übernahme von Musikelementen in das eigene Werk. Traditionell ist es vor allem im Bereich Hip-Hop verankert. Geschieht das Sampeln ohne Einwilligung des Rechteinhabers, kommt es nicht selten zum Rechtsstreit. So auch im Fall Pelham gegen Kraftwerk. Moses Pelham hatte für das von Sabrina Setlur gesungene Lied „Nur mir“ eine zwei Sekunden lange Sequenz aus dem Kraftwerk-Stück „Metall auf Metall“ von 1977 übernommen und diese – leicht abgeändert – als Loop (Schleife) unterlegt. Daraufhin klagte die Band. Zuletzt sah man sich beim BGH wieder. Dieser entschied zugunsten des eigentlichen Urhebers und Klägers Kraftwerk. In der Pressemitteilung zum BGH-Urteil (I ZR 182/11) heißt es: „Die Beklagten können sich nicht mit Erfolg auf das Recht zur freien Benutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG) berufen. Zwar kann in entsprechender Anwendung dieser Bestimmung auch die Benutzung fremder Tonträger ohne Zustimmung des Berechtigten erlaubt sein, wenn das neue Werk zu der aus dem benutzten Tonträger entlehnten Tönen oder Klängen einen so großen Abstand hält, dass es als selbständig anzusehen ist. Eine freie Benutzung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings ausgeschlossen, wenn es möglich ist, die auf dem Tonträger aufgezeichnete Tonfolge selbst einzuspielen. In diesem Fall gibt es für einen Eingriff in die unternehmerische Leistung des Tonträgerherstellers keine Rechtfertigung.“
Pelham hingegen beruft sich neben dem Recht auf freie Benutzung auf die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG). Hiergegen steht das Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) des Tonträgerherstellers. Genauer gesagt: Es stehen sich die künstlerische Entfaltungsfreiheit in einem Schaffensprozess und die Interessen der Urheber an der Vermeidung der (finanziellen) Ausbeutung ihrer Werke ohne ihre Einwilligung gegenüber. Über diese grundrechtlichen Belange hatte das BVerfG zu entscheiden.
Sampling ist „stilprägendes Element des Hip-Hop“
Nach Ansicht des BVerfG ist die Annahme des BGH, dass die Übernahme auch kleinster Sequenzen unzulässig sei, soweit diese gleichwertig nachspielbar seien, nicht mit der Kunstfreiheit vereinbar. Diese Auslegung der freien Benutzung i.S.d. § 24 Abs. 1 UrhG sei zu eng. Das würde bedeuten, dass der ein neues Werk schaffende Künstler entweder zunächst beim Rechteinhaber um Erlaubnis bitten oder – ohne Einwilligung – die Tonfolge selbst nachspielen muss. „In beiden Fällen würden jedoch die künstlerische Betätigungsfreiheit und damit auch die kulturelle Fortentwicklung eingeschränkt“, so das BVerfG, zumal die Erteilung der Einwilligung und die Forderung einer etwaigen Lizenzgebühr willkürlich erfolgen könne. Darüber hinaus sei das Sampling „eines der stilprägenden Elemente des Hip-Hop“. Dieser genrespezifischer Aspekt dürfe nicht unberücksichtigt bleiben.
Auf der anderen Seite stehe ein nur „geringfügiger Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger ohne erhebliche wirtschaftliche Nachteile“. Absatzrückgänge wegen des Werkes „Nur mir“ seien für die Kläger nicht zu befürchten. Dabei seien Kriterien wie etwa der künstlerische und zeitliche Abstand beider Werke, die Bedeutung der betroffenen Sequenz sowie die Bekanntheit des Ursprungswerkes zu berücksichtigen.
Nach der Gesamtschau und Abwägung der widerstreitenden Interessen müssen nach Ansicht des BVerfG die Verwertungsinteressen der Rechteinhaber zurückstehen. Nun muss der BGH erneut entscheiden – unter Berücksichtigung der BVerfG-Entscheidung.