Rekord-Schmerzensgeld: Warum wurden Kachelmann 635.000 Euro zugesprochen? - Rechtsanwaltskanzlei Herrle

26. Oktober 2015

Entscheidungen Aktuelles

Rekord-Schmerzensgeld: Warum wurden Kachelmann 635.000 Euro zugesprochen?

 
LG Köln, Urteil v. 30. September 2015 – 28 O 2/14; 28 O 7/14
Deutschland ist nicht die USA. Und Abschreckung spielt bei der Zumessung offenbar eine größere Rolle als Genugtuung. Das sind zwei Erkenntnisse, die sich auch aus diesem Schmerzensgeld-Prozess gegen einen Presseverlag gewinnen lassen. Der einstige Wettermoderator Jörg Kachelmann soll insgesamt 635.000 Euro Schmerzensgeld bekommen – eine Summe, die in Deutschland in Medienrechtsfällen bislang noch nie zugesprochen wurde. Nun fragen sich viele: Warum ist die Summe so hoch? Und was ist mit all denjenigen, die eine mindestens genauso schwer wiegenden Verletzung erlitten haben, aber nur eine deutlich geringere Summe erstritten konnten?
Kachelmann ist 2011 vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden. Die Medien hatten den Fall genauestens verfolgt und darüber berichtet – mal in zulässiger Weise, mal nicht. Schon während des Ermittlungsverfahrens veröffentlichten die „Bild“, „Bild am Sonntag“ und „Bild.de“ brisante und persönliche Informationen und sogar private Nachrichten von Kachelmann, die mit dem Vergewaltigungsvorwurf an sich nichts zu tun hatten. Der Ruf Kachelmanns war und ist damit hin. Kachelmann klagte deshalb gegen den Axel-Springer-Verlag und verlangte insgesamt 2,25 Mio. Euro.
Letztlich fühlen sich beide Parteien als Sieger. Kachelmann und sein Anwalt Ralf Höcker, weil sie immerhin die Rekord-Summe von 635.000 Euro erstreiten konnten, die Gegenseite, weil ein nur ein relativ geringer Teil der ursprünglich geforderten Summe zugesprochen wurde (Anm.: Kachelmann trägt daher einen Großteil der Anwalts- und Gerichtskosten). Andererseits sind beide noch nicht zufrieden mit dem Urteil, beide Parteien wollen in Berufung gehen.
Für das LG Köln war eine (unzulässige) Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers gegeben. Zwar liege ein „außergewöhnlich großes Informationsinteresse der Öffentlichkeit“ vor. Hier ging es aber gerade um die teils „rücksichtslose“ Berichterstattung über die Privats- und Intimsphäre des Klägers, wobei oftmals gar der Bezug zum eigentlichen Tatvorwurf fehlte. Die Unschuldsvermutung sei in einigen Fällen untergraben worden, dabei gebiete sie es, Informationen gewissenhaft nachzugehen und sich gegebenenfalls in Zurückhaltung zu üben, so das Gericht. Letztlich aber sei Kachelmann „als frauenverachtender und gewaltbereiter Wiederholungstäter stigmatisiert“ worden, was sich auf sein Privat- und Berufsleben ausgewirkt habe. Dagegen verneinte das LG Köln die vom Kläger behauptete absichtliche Hetzkampagne gegen ihn
Abschreckungseffekt vs. Gerechtigkeitsempfinden in der Gesellschaft
Der klägerische Anwalt Ralf Höcker betonte stets den Abschreckungseffekt, für die Medien. Nicht ganz zu Unrecht: Denn mit reißerischen Berichten steigern Print- und Online-Medien ihre Auflagen bzw. Klickzahlen und nehmen – zumindest „kleinere“ – Rechtsstreitigkeiten in Kauf. Hohe Schmerzensgeldsummen schrecken auch namhafte Verlage indes sehr wohl ab, so jedenfalls die Argumentation der Kläger.
Auf der anderen Seite fragen sich viele – auch nicht ganz zu Unrecht –, warum die von Gerichten zugesprochenen Schmerzensgeldsummen in Deutschland bei Presserechtsfällen oftmals deutlich höher sind als etwa bei schweren Körperverletzungen. Dieser Fall ist ein gutes Beispiel dafür. Die höchste Schmerzensgeldsumme in einem Presserechtsfall wurde bislang 2009 vom OLG Hamburg mit 400.000 Euro der schwedischen Prinzessin Madeleine zugesprochen.
In den USA und anderen Ländern wären die Summen ohnehin ganz andere. In Deutschland ist man zurückhaltender. Im Kachelmann-Prozess waren es die Anzahl und die Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die maßgeblich waren für die (relativ) hohe Summe. Es ging immerhin um 38 festgestellte Fälle. Und natürlich wird auch der Abschreckungseffekt eine gewisse Rolle gespielt haben. Wenn dann in der Vergangenheit Opfer in Folge von Körperverletzungen, ärztlichen Behandlungsfehlern o.ä. schwere Nachteile erlitten und dafür deutlich weniger Geld bekommen haben, verstehen viele die Welt nicht mehr. In der Tat ein Problem, das man nicht wegdiskutieren kann.
Nun ist das OLG Köln gefragt. Dass es aber ganz anders urteilen wird als das Landgericht, darf bezweifelt werden.